von Ulrich Kuhnt, Rückenschule Hannover Vorsitzender des Direktoriums des BdR e. V.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Ergodynamik“ und dem Motto des Tages der Rückengesundheit 2016?
Der Begriff „Ergodynamik“ verbindet Ergonomie und Dynamik. Die Ergonomie erarbeitet und verarbeitet humanwissenschaftliches Wissen mit dem Ziel, eine Anpassung von Arbeit, Arbeitssystem und Umgebungen an die physischen und psychischen Fähigkeiten des Menschen herbeizuführen. Wichtige Aspekte sind dabei die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze, wie Bildschirmarbeitsplätze, Produktionsarbeitsplätze, Handwerk, Handel, Transport, Pflege etc. und die Gestaltung der Arbeitsorganisation (z.B. Job Rotation).
Der Begriff Dynamik umschreibt folgende Aspekte: Wechsel der Körperhaltungen und Körperbewegungen, Wechsel zwischen Be- und Entlastung, Vermeidung von Monotonie und Zwangshaltungen. Außerdem gehört die Förderung der körperlichen Aktivität dazu, ebenso wie Haltungs- und Bewegungswechsel im privaten Bereich. Dynamik bzw. Bewegung ist für das Bewegungssystem eine notwendige Voraussetzung für langfristiges, schmerzfreies Funktionieren. Denn Muskeln, Gelenke, Knochen, Nerven (Gehirn) und Bindegewebe benötigen den fortlaufenden Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung. Damit sich biologische Systeme bewegen können, benötigen sie nicht nur die richtige Haltung, sondern auch Bewegungsreize in ausreichendem Maße. Für den Betrieb des menschlichen Bewegungssystems gibt es eine Art Bedienungsanleitung und darin steht: "Mensch, beweg dich!".
Alle Experten sind sich einig, dass die Entstehung von Rückenschmerzen verschiedene Ursachen hat. Körperliche, psychische und soziale Aspekte spielen beim Schmerzgeschehen grundsätzlich eine wichtige Rolle. Zum Tag der Rückengesundheit wird der Fokus auf einen ausgewählten Schwerpunkt der Rückenprävention gelegt. Zur besseren Übersicht werden Präventionsmaßnahmen eingeteilt in
Verhaltensprävention
Die Verhaltensprävention konzentriert sich auf das individuelle Verhalten von Personen. Dynamisches Sitzen im Büro, Durchführen von gymnastischen Ausgleichs- und Entspannungsübungen, aktive Bewältigung von Rückenschmerzen sowie regelmäßige körperliche Aktivitäten sind Beispiele für individuelle Verhaltensweisen, die nachhaltig die Rückengesundheit stärken können.
Verhältnisprävention
Die Verhältnisprävention beleuchtet das ergonomische und organisatorische Umfeld in Lebenswelten wie Betrieben, Kindertagesstätten oder Schulen. Ergonomische Bildschirmarbeitsplätze, Hebe- und Tragehilfen, rückenfreundliche Autositze oder Bettsysteme zählen zu den materiellen Bedingungen, die unsere Rückengesundheit fördern können. Ziel ist es, unsere Umgebung mit rückenfreundlichen Produkten auszustatten und darüber hinaus auch für positive Arbeits- und Freizeitbedingungen zu sorgen.
Das Motto für das Jahr 2016 ist schwerpunktmäßig der Verhältnisprävention zuzuordnen.
Es geht bei den ergonomischen Aspekten nicht um Schonung oder Entlastung des Muskel-Skelett-Systems, sondern um eine regelmäßige, funktionsgerechte Belastung. Zum Beispiel soll der Rücken nicht dauerhaft abgestützt, Bück- und Hebevorgänge nicht grundsätzlich vermieden und die Haltungen und Bewegungsabläufe müssen nicht immer korrekt ausgeführt werden.
Das Motto passt zu den Inhalten der Neuen Rückenschule und bietet eine gute Einstiegsmöglichkeit in die Themenfelder Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM), insbesondere vor dem Hintergrund des neuen Präventionsgesetzes. Es ist besonders für Rückenschullehrer interessant, da dieser Inhalt mit den Bereichen Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz verknüpft werden kann. Außerdem können die Aspekte Ergonomie und körperliches Training verbunden und unterschiedliche Zielgruppen in unterschiedlichen Settings angesprochen werden (Kinder, Erwachsene, Ältere, Betriebe, Schulen etc.).
Weiterhin ergeben sich gute Kooperationsmöglichkeiten mit Produktherstellern oder dem regionalen Handel, wie z. B. Bettengeschäften, Autohäusern, Möbel- oder Schuhgeschäften.
Zur Zusammenfassung der Ziele des Mottos zum Tag der Rückengesundheit 2016 soll an dieser Stelle ein Zitat von Dieter Breithecker herangezogen werden:
„Nach heutigen Erkenntnissen ist für den Erhalt und die Wiedererlangung der Gesundheit insbesondere die regelmäßige, in den Alltag integrierte Bewegung von Bedeutung. Lern-, Arbeits- und Lebensräume der Menschen können dahingehend (um)gestaltet und organisiert werden, dass Bewegung spontan und ‚ganz nebenbei' entstehen kann.
Stets wurde und wird auf die Wechselwirkung Mensch und Raum verwiesen. Räume „können heilen, erleben, befrieden, stimulieren oder krank machen und verderben“ (Wolfgang Mahlke). Körperliche, geistige und soziale Gesundheit sind sehr stark daran geknüpft, inwieweit Räume zu einer inneren und äußeren Bewegung stimulieren oder nicht.
Bereits beim Betreten des Raums reflektiert dieser, welche Verhaltensweisen hier ausgelebt werden können. In diesem Kontext entwickeln sich neben Schulräumen auch Büro- und Konferenzräume immer mehr von reinen ‚Sitzarbeitsplätzen' zu ‚Menschen bewegende' Räumlichkeiten, in denen Arbeit und auch gesundes, produktives Leben ganzheitlich aufeinander bezogen sind.“
(Dieter Breithecker, 2015)